Holocaust-Gedenken auf einem Weingut – Geht das?

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In diesen Tagen ist es 80 Jahre her, dass der so genannte “Anschluss” Österreichs an NS-Deutschland erfolgte. Wenn ich denke, dass meine Matura ungefähr 25 Jahre zurückliegt und mir diese Zeit noch sehr bewusst in Erinnerung ist, dann kommt uns auch das Jahr 1938 schrecklich nahe vor. Und doch sind wir mittlerweile die “dritte Generation” der Menschen, die diese Zeit als Opfer, Täter, Mitläufer… Unbeteiligte, Wegsehende, Widerstandskämpfer, innere Emigranten, als Zeitzeugen… erlebten. Wir, die dritte Generation, die erst psychisch und emotional dazu fähig war, die höchst notwendige Aufarbeitung zu forcieren. Jene Generation, die sich oft als HistorikerInnen mit dem Thema “Vergangenheitsaufarbeitung” (ich sage bewusst nicht “Bewältigung”) zu beschäftigen begann. Eine Vergangenheit, die uns nicht nur wegen des Gedenkjahres nahe erscheint, sondern weil ich mir manchmal die Frage stelle, ob es je ein Ende (im mentalen und ideologischen Sinne) und je eine Art Neuanfang gab. Antisemitismus, Rassismus und eine Verharmlosung der unglaublichen Verbrechen sind mehr denn je wieder “salonfähig” (ein furchtbares Wort) geworden.

Wenn in Liedern hierzulande angedeutet wird, dass die Zahl der Menschen, die durch den Holocaust ums Leben gekommen sind, noch zu gering war, dann gibt es keinerlei wie auch immer geartete Entschuldigung für die Verwendung und Verbreitung derart menschenverachtender Worte. Wenn “versehentlich” wieder mal rechte Hände nach oben schnellen oder im 21. Jahrhundert noch immer Prozesse wegen Wiederbetätigung geführt werden müssen, dann ist es leider einmal mehr notwendig, die Schrecken jener Zeit aufzuzeigen. Es ist wichtiger denn je, zusammenzukommen, und der Menschlichkeit Vorrang zu geben. Zu erinnern, denn Erinnerungen schaffen unsere Identität. 

Ein besonderes Zeichen der Erinnerung an eine durch Hass, Gewalt und Vernichtung ausgelöschte Identität setzte der Verein “Initiative Erinnern Frauenkirchen” in der gleichnamigen Gemeinde im burgenländischen Seewinkel.

2016 errichtete der Verein am ehemaligen Standort der Frauenkirchner Synagoge eine Gedenkstätte, die sich “Garten der Erinnerung” nennt. Nicht nur an jener Gedenkstätte, sondern auch am Weingut Umathum findet zur Zeit eine Veranstaltungsreihe statt, die unter dem Motto “Bewusst Erinnern” läuft. 

Von Ariane und Josef Umathum habe ich schon einmal berichtet, als ich das Winzerehepaar am Weingut interviewen durfte. Damals stand freilich das Thema “Wein” im Vordergrund, aber ich denke, schon damals wurde deutlich, dass die Umathums nicht “nur” Winzer sind. Bio-Projekte, zu deren Verwirklichung der Weg sicher nicht immer leicht war, und ein soziales und gesellschaftliches Engagement machen die Umathums aus. Das Motto “Hingucken anstelle Weggucken” und die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen sind die Aufgaben, die sie sich gestellt haben. So kam es auch zur Veranstaltungsserie “Bewusst Erinnern”.

 

Das Winzerpaar Ariane und Josef Umathum

Ariane und Josef Umathum

 

Leider ging sich zeitlich bei mir nur der Besuch des ersten “Erinnerungsabends” aus. So ging meine Reise letztes Wochenende ins Burgenland:

Begleitet von einer lieben Freundin, geht es dabei zunächst zum “Garten der Erinnerung”, der im ehemaligen jüdischen Viertel von Frauenkirchen liegt. 

Im Burgenland bestanden in der Geschichte mehrere Jüdische Gemeinden, aufgrund der Politik der Geschlechter Esterházy (im Norden) und Batthyány (im Süden), die den aus anderen Regionen geflüchteten Juden eine Ansiedelung ermöglichten (natürlich profitierte auch der Adel davon, es regte aber eine lebendige jüdische Kultur an).

Zu den “Schewa Kehilot”, den jüdischen “Sieben Gemeinden” im Einflussbereich der Esterházy, zählte eben auch Frauenkirchen. Ende des 19. Jhdts. lebten dort über rund 800 Juden. Das Leben der Juden Frauenkirchens spiegelte sich in einer regen Dorfkultur wieder: eine Synagoge, mehrere Geschäfte, eine jüdische Fleischerei und ein jüdisches Bad kennzeichneten das jüdische Frauenkirchen. 

 

Jüdische Bäckerei (Fotocredit: Dr. Brettl)

Die koschere Bäckerei Kastner in Frauenkirchen 1929, Quelle/Fotocredit: Dr. Herbert BRETTL

 

Noch vor dem “offiziellen Anschluss” am 12. März 1938 zogen einheimische Nationalsozialisten in der Nacht vom 11. auf den 12. März durch Frauenkirchen und es kam zu ersten Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung. 

Die burgenländischen Juden waren in weiterer Folge extremen Schikanen ausgesetzt, manche Gruppen wurden zwischen den Nachbarstaaten sprichwörtlich hin- und hergeschoben und die burgenländischen Nationalsozialisten waren sehr stolz darauf, die jüdischen Spuren sehr schnell auszulöschen. Den Frauenkirchner Juden, die nach Wien abgeschoben wurden, gelang zum Teil die Emigration, die sie in die unterschiedlichsten Länder führte. Viele fanden in Palästina eine neue Heimat. Ungefähr ein Drittel der Frauenkirchner jüdischen Bevölkerung kam durch den Holocaust ums Leben. Von allen, denen die Flucht gelang, kehrte nur ein einziger in seine Heimatstadt zurück: Paul Rosenfeld setzte sich zum Ziel, das Familienunternehmen, einen Getreidehandel, wieder aufzubauen. Er starb im März 2003.

Heute dokumentiert der “Garten der Erinnerung” diese lebendige Kultur. Der Historiker Dr. Herbert Brettl berichtet uns an jenem Samstag über die Geschichte des Jüdischen Frauenkirchen und erklärt die Symbolik und Geschichte des Gartens der Erinnerung. Und: Herbert Brettl ist auch Blogger – er betreibt den Burgenland History Blog. So entdecke ich einige Gemeinsamkeiten, denn Herbert Brettl hat, wie ich selbst, zunächst Lehramt Geschichte und Geografie studiert, und sich in weiterer Folge intensiv mit Zeitgeschichte auseinandergesetzt. Mittlerweile hat er zahlreiche wissenschaftliche Werke zur Geschichte des Burgenlands verfasst und herausgegeben. Ich freue mich, den engagierten Historiker bei dieser Veranstaltung kennenzulernen.

 

Ehemalige Synagoge in Frauenkirchen (Fotocredit: Dr. Brettl)

Die ehemalige Frauenkirchner Synagoge, Quelle/Fotocredit: Dr. Herbert BRETTL

 

Vom Garten der Erinnerung geht es schließlich auf das Weingut Umathum. Im wunderschönen, ähnlich einem Atrium angelegten Veranstaltungssaal begrüßen Ariane und Josef Umathum die Gäste. Auf einem Podium ist ein Flügel aufgebaut, an dem schließlich die Pianistin Anna An Platz nimmt, die zusammen mit der Sopranistin Reinet Behncke “Lieder aus Theresienstadt” darbietet. Es sind dies Lieder von Künstlern und Künstlerinnen, die diese im KZ Theresienstadt schufen, alle der vorgestellten Künstler wurden schließlich im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Besonders berührend empfinden meine Freundin und ich jene Lieder, die in deutscher Sprache geschrieben sind. Sehr richtig sagt meine Freundin zu mir, dass Inhalte in der eigenen Sprache viel tiefer gehen, weil man diese versteht und weil sie einem vertraut ist. So werden die Lieder der Künstlerin Ilse Weber von Reinet Behncke vorgetragen. Die 1903 geborene tschechoslowakische, deutschsprachige Sängerin hatte Märchen und Theaterstücke für Kinder verfasst. Während ihr älterer Sohn mit einem Kindertransport nach Großbritannien gerettet werden konnte, kamen sie selbst und ihr jüngerer Sohn ins KZ Theresienstadt, wo sie eben jene Lieder, die wir an diesem Abend hören, komponierte. Mutter und Sohn kamen 1944 in Auschwitz ums Leben. Noch auf dem Weg in die Gaskammer soll Ilse Weber das Lied “Wiegala” für ihren Sohn und die anderen Kinder gesungen haben. Ilse Weber, eines von 6 Millionen Opfern der Shoa – jedes einzelne eine unglaubliche Tragödie und ein unfassbares Verbrechen. 

Wir sitzen noch in nettem Rahmen, in einer sehr ruhigen und angenehmen Atmosphäre zusammen. Um auf die aufgeworfene Frage in meiner Überschrift zurückzukommen: “Holocaust-Gedenken auf einem Weingut – Geht das?”: Ja, das geht nicht nur, dass halte ich generell für eine wichtige Idee, auch die nicht heiteren, nicht “einfachen” Themen in einer geselligen Atmosphäre zu diskutieren, gerne auch mit einem Glas Wein und einem Brötchen. Gedenken, Diskutieren, Lösungen suchen… dazu müssen wir zusammenrücken, uns austauschen, Tabus abbauen und die Themen in die Mitte der Gesellschaft holen!

Auf dem Weg zurück plaudern wir noch über sehr vieles, das uns gesellschaftlich bewegt. Ich sage bewusst: gesellschaftlich und nicht gesellschaftspolitisch. Politisch sehe ich viele Themen nicht, schon gar nicht parteipolitisch. Aber es gibt viele gesellschaftliche Themen, die mir wichtig scheinen, und daher wird es neben Essen und Wein, neben Kunst und Design auf Steppe und Stadt eben immer auch um gesellschaftliche Bereiche, Aktuelles und Geschichtliches, gehen. Ich möchte mit Worten schließen, die oft verwendet wurden, in der Zeit, in der ich selbst als Zeithistorikern mit Zeitzeugen und auch Opfern (des Holocaust) bzw. besser: der Shoa arbeitete: den ersten Teil wage ich schon nicht mehr zu sagen: “Wehret den Anfängen!”, aber “Niemals vergessen!”

Und ein Dankeschön an die Familie Umathum für das Engagement, für die wertvolle Arbeit, die gesellschaftliche, die ihr leistet, für etwas, das leider nicht selbstverständlich ist. Danke auch an Dr. Herbert Brettl, der mir trotz zahlreicher Termine sofort die gewünschten Bilder über das Jüdische Frauenkirchen zukommen ließ! 

 

 

 

 

 

 

 

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