Im Gespräch mit Rudi Anschober über Klimawandel, Tierwohl und Nachhaltigkeit – und gutes Essen

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Zum Auftakt der Neuausrichtung meines Projekts durfte ich eine besondere Persönlichkeit und einen Menschen, der sich aus Überzeugung mit jenen Themen auseinandersetzt, die auch hier eine Rolle spielen werden, interviewen: Rudi Anschober, dessen kürzlich erschienenes Buch „Pandemia“ nur der Ausgangspunkt unseres Dialogs war. 

Pandemia ist ein Werk, das anhand von fiktiven und realen Personen und einer Chronologie der Ereignisse die Facetten der Pandemie zusammenfasst. Darüber hinaus bietet es aber auch eine Erklärung von aktuellen Zusammenhängen, die für unsere Zukunft maßgeblich sind. Diese Vernetzung von Ereignissen und Tatsachen wird auch während unseres Gesprächs deutlich werden. 

Als ich Rudi Anschober zum Interview im einem Gastgarten eines Wiener Traditionscafés treffe, erleben wir gerade die erste massive Hitzewelle dieses Jahres. Zu Mittag höre ich von fürchterlichen Unwettern im Westen Österreichs. Rudi Anschober kommt direkt vom 4gamechangers-Festival in der Wiener Marxhalle, bei dem aktuelle gesellschaftliche Fragen wie Gesundheitsvorsorge, Klimawandel oder der Krieg in der Ukraine thematisiert werden. 

Umgang mit Pandemie und Klimawandel

Zu Beginn des Gesprächs blicken wir zurück auf den Umgang mit der Pandemie. Hier hat sich gezeigt, dass die zu Beginn breit zu spürende Solidarität später bei Manchen durch eine Ablehnung der Maßnahmen bis hin zur Leugnung der Realität ersetzt wurde. Ursache dafür ist oftmals die Angst vor dem Kontrollverlust. Doch was bedeuten diese Erkenntnisse nun für den Umgang mit der längst bekannten Herausforderung der Klimakrise?

Rudi Anschober meint hierzu, dass tatsächlich sehr unterschiedlich auf die Pandemie und die Klimakrise reagiert wurde. Wenn man auf die Pandemie so langsam wie auf die Klimakrise, von der man seit 50 Jahren weiß, reagiert hätte, dann hätte man wohl keine oder kaum Maßnahmen gesetzt. Er meint jedoch, dass gerade diese schnelle Reaktion auf die Pandemie nun ein Vorbild sein kann. Wichtig sei es, zu vermitteln, dass die unterschiedlichen Krisen zusammenhängen und es eine gemeinsame Ursache hierfür gibt: diese ist der Umgang des Menschen mit der Natur und das Plündern des Planeten. Nun in der zusätzlichen Energiekrise wird sichtbar, dass die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, die in Staaten produziert werden, die alles andere als Demokratien sind und damit am Leben gehalten werden, nicht gut sein kann. 

Es ist eine Chance. Eine Chance, dass wir einen Neubeginn des Klimaschutzes zusammenbringen.

Der massive Temperaturwandel in Wien in den letzten Jahrzehnten (Fotocredit: Show your stripes; Prof. Ed Hawkins, University of Reading; https://www.climate-lab-book.ac.uk)

 

Im Zusammenhang mit Ängsten und Maßnahmen gegen den Klimawandel frage ich Rudi Anschober, wie man Mitmenschen deutlich machen kann, dass es nicht darum geht, ihnen etwas wegzunehmen (wie zum Beispiel das Auto), dass es nicht um einen Verzicht, sondern um einen Gewinn geht. Daraufhin meint er, das sei am leichtesten anhand von Erfolgen und angenehmen Erlebnissen zu vermitteln, wie beispielsweise das erste Mal Duschen mit Wasser aus erneuerbarer Energie oder die Annehmlichkeiten einer Reise mit der Bahn, wie er es selbst bei seiner Lesereise durch Österreich erleben konnte. 

Ich glaube, darum wird es gehen: Sichtbar zu machen, dass es nicht bedeutet, jemanden etwas wegzunehmen. Wenn jemand gerne mit seinem Auto fährt, soll er es tun. Aber es soll zumindest für jeden um Wahlfreiheit gehen, sich in ganz Österreich für dieses oder jenes Fortbewegungsmittel entscheiden zu können. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn das Angebot passt, das heißt wenn die „Öffis“ die Schnelleren, die Bequemeren und die Preisgünstigeren sind, sich die Menschen nicht am Auto festkrallen, sondern Schritt für Schritt wechseln werden. Es bedeutet eine Verbesserung der Lebensqualität für den Einzelnen, aber nur dann, wenn das Angebot passt – und das zu erfüllen, ist die Aufgabe der Politik.

Zur Frage “Greenwashing” von Atomenergie

Das angesprochene Thema „Energie“ führt mich zur nächsten Frage, einer, die besonders die Österreicherinnen und Österreicher, die die Tragödie von Tschernobyl noch in guter Erinnerung haben, bewegt. Daher möchte ich von Rudi Anschober wissen, was seine Meinung zur Diskussion über Atomstrom als Mittel gegen den Klimawandel ist. Er ist überzeugt davon, dass schon zwei Mal bewiesen wurde, dass man, wenn man über Parteigrenzen und breite Bevölkerungsschichten zusammenhält, eine Kraft gegen die Atomlobby bilden kann: Zum ersten Mal hätte sich das bei der Abstimmung über Zwentendorf gezeigt und nun in der Ablehnung auf EU-Ebene gegen die Pläne der EU-Kommission, Atomstrom als erneuerbare Energiequelle einzustufen. 

Das ist ein extrem wichtiger Schritt, denn er hat gezeigt, dass, wenn Europa demokratischer wird und das Europaparlament mehr Rechte erhält, dass dieses dann im Sinne der Bürger und Bürgerinnen besser entscheiden kann. Es wäre fatal, jetzt das Rad der Zeit zurückzudrehen und zu alten Technologien zurückzukehren, die keine Lösung darstellen, weder was die Menge des erzeugten Stroms noch was den richtigen Einsatz des Atomstroms betrifft, ganz abgesehen von der Gefährlichkeit und der Tatsache, dass wir nach wie vor keine Lösung für den Atommüll haben.

Ich mache einen Sprung in meinen Fragen, komme aber letztlich wieder zu einem Thema, das eng mit der Pandemie und den Fragen unserer Zeit verknüpft ist. Als Minister war Rudi Anschober nicht nur für Gesundheit und Soziales zuständig, sondern auch für den Tierschutz – und ich glaube, es könnte niemanden geben, der das authentischer verkörperte, denn er ist ein großer Tierfreund.

Tierwohl

Dass Tiere fühlende Wesen sind, wurde Anfang des Jahres in Spanien (obwohl dort auch viele Vergehen gegen Tiere passieren) per Gesetz verankert. Auch mir ist dieses Fühlen über viele Jahre, die ich eng mit Katzen verbringen durfte, mehr und mehr bewusst geworden – und ich denke, dass wir vom Miteinander dieser fühlenden Wesen, aber auch von unserer Kommunikation mit ihnen viel lernen können. Wir müssen uns nur auf sie einlassen und erkennen, dass sie auf einer anderen Ebene kommunizieren, dass sie genauso fühlen wie wir, aber eine andere Sprache sprechen. Aus diesen persönlichen Überlegungen heraus frage ich Rudi Anschober, ob er ein Gesetz, wie es in Spanien verabschiedet wurde, für Österreich oder die EU sinnvoll für den Tierschutz erachte würde.  Wieder hat er eine klare Meinung dazu und weist auch auf die Verbindung zu den Krisen unserer Zeit hin:

Das würde als logische Konsequenz bedeuten, dass Missstände, die derzeit wirklich haarsträubend sind, wie zum Beispiel Lebendtiertransporte über tausende Kilometer, der Vergangenheit angehören würden. Und ich finde es schön, dass man beim Tierschutz belegen kann, wie sehr die Krisen zusammenhängen. Das enorme Zunehmen des Essens von Fleisch hat dazu geführt, dass wir eine massive Erhöhung der CO2-Emissionen aus diesem Bereich haben.

Seinen eigenen Zugang zu Tieren begründet Rudi Anschober im Aufwachsen auf einem Bauernhof in Oberösterreich. Dort habe er früh nahen Kontakt zu Tieren gehabt und ihre Intelligenz und Feinfühligkeit spüren können. So blickt er auf die Tage der Kindheit zurück:

Mein Freund war der Eber. Als ich halbwegs begonnen hatte, zu gehen, habe ich diesen immer bei beiden Ohren genommen und mich an ihm angehalten. So habe ich immer in diese Eberaugen gesehen. Diese Nähe, die ich als Kind zu Tieren hatte, hat mich sehr stark geprägt. Damals war es Normalität, dass wir wussten, woher das Fleisch kommt, dass wir selbst die Erzeuger von diesem Fleisch waren und dass wir sorgsam mit den Tieren umgegangen sind. Und es gab nur einmal in der Woche Fleisch. Das hat uns nicht geschadet. Es war der gesündere Ernährungsstil und der, der den Tieren besser getan hat. Und es war letztlich ein Ernährungsstil, bei dem man fair mit anderen Lebewesen umgegangen ist. 

Wie auch in der Thematik des öffentlichen Verkehrs und des Umgangs mit dem Auto, solle es auch in der Frage des Fleischessens nicht um ein Verbot oder ein Missionieren gehen, sondern um einen vernünftigen Weg, Menschen einfach zu sensibilisieren. Es wäre wünschenswert, wenn wir es schaffen würden, aufzuzeigen, dass wir Tieren gegenüber eine Verantwortung haben, und zwar nicht nur jenen gegenüber, die mit uns in einem Haushalt leben.

Ich glaube, es geht nicht darum, Menschen das Fleischessen zu verbieten, sondern zu vermitteln, dass wir eine Verantwortung haben, und zwar eben auch Tieren gegenüber. Und dass wir diese Verantwortung nicht nur unseren Vierbeinern gegenüber haben, mit denen wir in der eigenen Wohnung leben, sondern auch anderen Tieren gegenüber, die teilweise unglaublich viel fühlen können und intelligent sind, wie Schweine zum Beispiel, die total unterschätzt werden und die teilweise eine höhere Intelligenzleistung als Hunde haben. Und es ist zunächst wichtig, dass wir von dieser industriellen Massentierhaltung wegkommen, die wirklich Tierleid erzeugt.

Eine solche positive Veränderung wäre auch ein wichtiger Schritt in der Verhinderung von Pandemien, da eine echte industrielle Massentierhaltung als Quelle für mögliche Zoonosen angesehen wird. 

Ernährungsumstellung und Neugier auf Neues

Rudi Anschober geht es mit der persönlichen Ernährungsumstellung ganz ähnlich wie mir selbst und vielen Menschen in meiner Umgebung. Er hatte diese nicht geplant. Da ihm aber Tiere ans Herz gewachsen waren und er freundschaftliche Gefühle für Tiere empfindet, wurde das Thema Fleischessen immer mehr hinterfragt. Er ist heute fasziniert von der vegetarischen Küche, isst kein rotes Fleisch mehr, aber Fische aus der Region. Und wenn ein Bekannter, der Jäger ist, ihm Wild anbietet, wird dies dankend angenommen. Die Jagd, die auf einem sorgsamen Umgang mit den Wildtieren basiert, sieht Rudi Anschober im Gegensatz zur Trophäenjagd als Bereicherung für die Küche an. Das ist eine Überlegung, die so gut zu zu dieser Neuausrichtung meines Projekts passt, denn die nächste Reportage hier auf Steppe und Stadt wird sich mit diesem Thema einer verantwortungsvollen Jagd beschäftigen.

Sich auf Neues und neue Geschmacksrichtungen einzulassen, sieht Rudi Anschober als etwas Bereicherndes an. Über die Neugier auf die vegetarische Küche sagt er:

Es war kein fundamentalistischer Beschluss, sondern etwas, das gewachsen ist. Mir schmeckt es auch nicht mehr und ich verspüre keine Sehnsucht danach. Mittlerweile freue ich mich darauf, wenn es am Abend bei uns einen Melanzaniauflauf gibt. Es gibt so unglaublich schöne Rezepte mit großartigen Gewürzen. Und jeder, der das nicht ausprobiert, versäumt etwas in seinem Leben.

Herausforderungen unserer Zeit

Was das Einkaufen von gesunden und qualitativen Lebensmitteln betrifft, stelle ich die Überlegung an, wie sich das in einer Zeit einer allgemeinen Teuerungswelle verhalten wird. Ich äußere meine Befürchtung, dass Menschen angesichts dieser Lage wieder vermehrt auf Billigware zweifelhafter Herkunft zurückgreifen werden und will Rudi Anschobers Gedanken dazu wissen. Aus seiner Sicht, führt er aus, sollte jeder Mensch das Recht auf eine gesunde Ernährung haben. Die Politik sollte dabei nicht auf billigere Lebensmittel, sondern umgekehrt auf eine Erhöhung der Sozialstandards setzen.

Das ist ein ganz großes Thema. Und es ist für Menschen, die in einer schwierigen sozialen Lage sind und ein geringeres Einkommen als andere haben, ein tatsächlich großes Problem. Es sollte, aus meiner Sicht, jeder Mensch das Recht haben, sich gesund zu ernähren. Und dazu braucht es nicht billigere Lebensmittel, sondern eine bessere Sozialpolitik. Man hat ja über Jahrzehnte versucht, mit preisgestützten subventionierten Lebensmitteln Sozialpolitik zu machen. Das war meiner Meinung nach der falsche Weg, weil das in Richtung Qualitätsdumping und Massenproduktion geht. Besser wäre es, das umzudrehen und einen Teil dieser Subventionen für unmittelbare Erhöhungen der Sozialstandards zu verwenden.

Die Ernährungsumstellung, weg vom Fleisch, kann hier für den Einzelnen auch eine Erleichterung bedeuten, da der größte Preisunterschied bei konventionellen und „Bio“-Produkten beim Fleisch liegt.

In der nächsten Zeit jedoch wird sich wohl die Situation noch einmal verschärfen. Putin, so überlegt Rudi Anschober, versteht es geschickt, auf eine Destabilisierung der Verhältnisse in Europa zu setzen. Diese Zeit des Krieges, der Verunsicherung und der Verstärkung der sozialen Unterschiede werden wir hoffentlich hinter uns lassen, um dann wieder ein normales Leben führen zu können. 

Und hier schließt sich wieder der Kreis. Einen Tag nach unserem Interview spricht der ukrainische Präsident Selenskyj vor dem Publikum des 4gamechangers-Festival. Und es wird mir so bewusst, während ich diese Zeilen schreibe, wie alles zusammenhängt und in welchem Brennpunkt zwischen Pandemie, Klimawandel, Krieg und Energiekrise wir uns befinden. Und vor welchen großen Herausforderungen, aber auch Chancen wir stehen.

Vielleicht ist es wirklich auch die Zeit für einen Neubeginn, wie Rudi Anschober auch am Anfang des Interviews meint. Und so frage ich noch hinsichtlich von Vorzeigeprojekten in der Landwirtschaft, die auch auf das große Thema Tierwohl achten, was wir dafür tun können, damit diese eine Chance haben. Und da wünscht sich Rudi Anschober nicht nur eine Förderung durch die Politik, sondern weist auch auf die Rolle und letztlich die Macht der Konsumenten und Konsumentinnen hin.

Es gibt ja keine Landwirte, die etwas Schlechtes tun wollen. Jeder hat ein Herz für seine Tiere. Jeder möchte bestmöglich mit der Verantwortung, die er als Lebensmittelproduzent hat, umgehen. Das ist der eine Bereich: Förderung von Pilotprojekten, die in Richtung Umstieg und auch in Richtung Innovation gehen. Das heißt, es geht auch um die Verwertung der ganzen Kette des Produktes, was auch die Chance für die Landwirtschaft ist, weil dort die Wertschöpfung zu Hause ist. Und ein weiterer Punkt ist, dass die besten Verbündeten für die Landwirte und Landwirtinnen die Konsumenten und Konsumentinnen sind. 

Auch hier schließt sich ein Gedankenkreis, denn auch hinsichtlich der Debatte über den Atomstrom hat Rudi Anschober auf die Rolle der Bürger und Bürgerinnen und einen Demokratisierungsprozess innerhalb der EU verwiesen. Konsumenten und Konsumentinnen und Bürger und Bürgerinnen müssen die Chance haben, sich in die Entscheidungsprozesse einzubringen und gehört zu werden. Und die brennenden Themen unserer Zeit sollten breit diskutiert werden.

Mit der Neuausrichtung von Steppe und Stadt will ich einen kleinen Beitrag zu den großen Diskussionen leisten und mich für Themen, wie Klimaschutz oder Tierwohl, die in diesem Interview thematisiert wurden, einsetzen. 

Gemeinsam können wir viel erreichen

Beim Signieren des Buches Pandemia hat mir Rudi Anschober folgenden Satz auf die erste Seite geschrieben: „Gemeinsam können wir viel erreichen!“ Ein gemeinsamer gesellschaftlicher Weg und das Gemeinsame zwischen Menschen zu finden, ist manchmal kein leichter Weg, aber letztlich der Einzige, der Sinn macht. 

Bei Rudi Anschober bedanke ich mich herzlich für das inspirierende und wegweisende Interview und die unkomplizierte Art der Kommunikation! 

(Fotocredit Porträt Rudi Anschober: Ulrik Hölzel)

 

Beim Interview mit Rudi Anschober

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