Zum Thema Nachhaltigkeit durfte ich dieses Mal in die Welt der Mode eintauchen und Doris Bittermann interviewen, die im 7. Wiener Gemeindebezirk mit ihrem Label „wienerkleid“ ansässig ist und ein Geschäft betreibt, in dem sowohl die Handwerkskunst als auch der Kund:innenkontakt großgeschrieben werden.
Es ist ein stürmischer Februarfreitag, an dem ich das Geschäft in der Wiener Siebensterngasse betrete. Dass ich auf „wienerkleid“ gestoßen bin, ist dem Fakt, dass die Welt manchmal wirklich klein ist, geschuldet. Viele der Modefotos sind im Burgenland, am Seewinkler See Darscho entstanden, aufgenommen vom Fotograf Steve Haider, dessen Werk ich seit langem verfolge. Das Burgenland verbindet! Und bringt mich dazu, neugierig zu werden. Ich trete also ein, in eine angenehme Atmosphäre eines hellen Ladens und meine Augen werden sogleich von den lebendigen Farben der Kleider, Röcke und Hosen angezogen.
Doris Bittermann begrüßt mich sehr freundlich und bei einer Tasse wärmenden Tees sitzen wir nun zusammen, in der Nähe eines entzückenden Plätzchens mit Nähmaschine. Es wird also auch hier im Laden geschneidert!
Ich möchte von Doris Bittermann wissen, was sie dazu bewogen hat, Mode zu entwerfen und zu produzieren und was ihr persönlicher Weg zur Nachhaltigkeit war. Sie habe eine Modeausbildung absolviert, an der BOKU studiert und als Schaufensterkonzeptionistin in einem großen Modekonzern gearbeitet, beginnt sie zu erzählen. Letzteres war nicht der Weg, den sie eigentlich gehen wollte, denn schon als Kind habe sie davon geträumt, eines Tages Mode zu machen. Dass sie sich erst später tatsächlich dafür entschieden hat, trägt zur Authentizität sicher noch mehr bei. Und dass sie wusste, was sie sicher auch nicht will:
Wenn man sieht, wie Großkonzerne arbeiten, dann ist es noch einmal ein anderer Zugang. Man weiß dann, dass man diese Art der Industrie nicht unterstützen will und sucht den eigenen Weg. Es ist gut, wenn man beide Seiten kennt.
Die vielen Eindrücke über Produktion und Arbeitswelt haben sie in ihrem Werdegang beeinflusst und dazu gebracht, das eigene Projekt aufzuziehen. Dazu zählt auch, dass man einen persönlichen, den eigenen Stil entwickelt:
Es dauert ein paar Jahre, bis sich ein solches Projekt etabliert, genauso wie sich das Design entwickelt. Mein eigener Stil hat sich in den letzten Jahren sehr stark herauskristallisiert, sodass dieser auch einen Wiedererkennungseffekt hat.
Bei „wienerkleid“ steht die Nachhaltigkeit im Mittelpunkt. Dazu gehört auch das „Upcycling“ alter Stoffe. Doris Bittermann kann dabei auf viele originelle und wertvolle Ideen zurückgreifen. So hat sie zum Beispiel aus alten ÖBB-Uniformen neue Mode genäht.
Ich arbeite immer wieder mit alten Stoffen, in diesem Fall waren es alte Uniformen. Auch ausgediente Jeans finden in meinen Kollektionen immer wieder Gehör, diese werden zerschnitten und neu verarbeitet – Upcycling Deluxe, in meinem Bereich ein wesentlicher Beitrag zur Nachhaltigkeit. Und mit alten Sachen meine ich schöne und gute alte Stoffe, Stoffe mit Geschichte. Ökologische und soziale Nachhaltigekeit spielen in meinem Leben und meiner Arbeit, somit auch meiner Mode eine wichtige Rolle.
Wenn sie mit alten Stoffen arbeitet, dann findet Doris Bittermann diese beispielsweise auf Flohmärkten, die sie liebend gerne besucht. Aber auch alte Vorhänge, vor allem solche mit Spitze, oder original Vintage Baumwoll-Damast, dienen manchmal als Grundlage für ihre tolle Mode. So finde ich auch ein weißes Kleid im Laden, das besonders elegant und außergewöhnlich erscheint – und auf meine Frage, welcher Stoff denn das sei, antwortet mir die Modemacherin, dass dies ein Vintage-Vorhangstoff ist. Hinsichtlich der alten Jeans sind es übrigens ihre Kundinnen selbst, die diese zu weiteren Verarbeitung bringen.
Die Herkunft der Materialien, ob Neu oder Upcycling, die bei „wienerkleid“ verarbeitet werden, sind der Designerin enorm wichtig, daher wird hier besonders auf Nachhaltigkeit und Biostoffe fokussiert.
Woher die fertigen Werke kommen, weiß die Kundin dann auch ganz genau, denn Doris Bittermann ist nicht nur für das Design verantwortlich, sondern fertigt auch alle Kleidungsstücke selbst! Das wiederum macht das Besondere an „wienerkleid“ aus. Es handelt sich bei dieser Mode um Handwerkskunst. Design und Handwerk greifen ineinander, was sich auch an den Nähmaschinen im Laden manifestiert. Dort wird auch während der Öffnungszeiten produziert, weil viele Kundinnen auch neugierig sind, die Entstehung ihrer Mode zu sehen. Für neue Kollektionen hat Doris Bittermann aber noch einen Rückzugsort, ein Atelier, wo sie in Ruhe nähen kann.
Der Kundinnenkontakt wird bei „wienerkleid“ sehr großgeschrieben. Sogar in der schwierigen Zeit, als viele aufgrund der Pandemie auf einen Online-Shop setzten, blieb Doris Bittermann ihrer Linie treu und beriet ihre Kundinnen mit individuellen E-Mails. Sie ist auch kein Fan von Online-Shops, verrät sie mir, und ich kann es gut nachvollziehen. Auch mein Vater betrieb ein kleines Geschäft, das gleichzeitig ein Handwerksbetrieb war und Beratung und Kundenkontakt waren ihm wichtig. Daher ist mir vielleicht dieser Zugang in die Wiege gelegt worden, wie das Bewusstsein für Qualität – daher habe ich mich in Doris Bittermanns Ansichten sehr stark wiedergefunden. Und sie argumentiert so:
Man muss das Material angreifen können, spüren können und in Echt sehen. Außerdem handelt es sich bei meiner Mode großteils um Einzelstücke und Kleinserien, je nach Materialverfügbarkeit kann man natürlich vieles in der gewünschten Grösse anfertigen bzw. bestellen. Oder ich ändere die Stücke individuell ab. Daher ist der persönliche Kontakt sehr wichtig.
Und was inspiriert sie zu den Farben und Formen, frage ich. Doris Bittermann lacht. „Vieles“, sagt sie schmunzelnd.
Vieles! Inspiration passiert für mich eigentlich immer und überall – bei Stadtspaziergängen, in der Natur und natürlich auf Reisen – bewusst und auch unbewusst, Farben und Formen finden sich überall, es kommt nur auf den Blickwinkel an. Meine steirischen Wurzeln und traditionelle Details spielen bei all meinen Entwürfen eine wesentliche Rolle, da ich denke, dass Tradition und auch Heimat wieder mehr in den Fokus gerückt werden sollten, ohne jedoch die Offenheit für Neues und andere Kulturen zu verlieren. Traditionelle Verarbeitungstechniken in Form von handbedruckten Stoffen und Handstrickelementen runden den einzigartigen „wienerkleid“-Stil ab. Manchmal sind die Schnitte auch an historische Gewänder angelehnt, natürlich im weitesten Sinne und neu interpretiert. Hier passiert viel im Unterbewussten.
Über das alte Handwerk meint Doris Bittermann, dass hier leider sehr viel mittlerweile verloren gehe, dass man sich darauf besinnen solle und sich Einiges in ihren Kollektionen wiederfinde. Es ist diese Mischung aus altem Handwerk und unkonventionellen Verarbeitungstechniken, die das Besondere bei „wienerkleid“ ausmachen.
Das Grätzl rund um ihren Laden wirkt ebenso befruchtend. Hier hat sich in den letzten Jahren vermehrt eine Szene der Kreativität etabliert, in der Labels wie „wienerkleid“ neue Perspektiven eines nachhaltigen Konsums bieten.
Wie verhält es sich in Zeiten wie diesen mit dem verantwortungsvollen Einkauf und nimmt das Bewusstsein bei den Konsumenten und Konsumentinnen zu, frage ich Doris Bittermann. Eine schwierige Frage, räumt sie ein. Angesichts der Krisen, die uns alle betroffen machen, und angesichts der Teuerung ist es kein leichtes Unterfangen, Menschen neu für nachhaltigen Einkauf zu gewinnen. Dafür muss man auch Verständnis haben, wenn sich jemand finanziell hier schwer tut, meint die Modedesignerin. Und damit schließt sich wieder der Kreis für mich. Allen aktuellen Interviewpartner:innen, mit denen ich diskutiere, ist es wichtig, niemanden zu überzeugen oder gar zu belehren, und dennoch erkennen sie alle den dringenden Handlungsbedarf hinsichtlich des Klimawandels und brennender Fragen unserer Zeit. Aber dieser Handlungsbedarf hängt bekanntlich nicht nur von den Konsument:innen ab.
Uns allen würde es aber generell guttun, wenn wir erkennen, dass wir nicht so viel zum guten Leben benötigen, meint Doris Bittermann abschließend:
Ich glaube, man muss prinzipiell erkennen, dass man gar nicht so viel braucht. Weniger ist hier Mehr. Egal in welchem Bereich, auch bei Kleidung. Das ganz persönliche Bewusstsein schärfen, mit wenigen dafür qualitativ hochwertigen Stücken – das ist dann schon schon ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Wir plaudern noch eine Weile weiter und ich sehe mir begeistert die traumhaft schönen Modefotos an. Bei der Auswahl ihrer Models ist es Doris Bittermann übrigens wichtig, unterschiedliche Generationen zu repräsentieren und anzusprechen. So sind auch Fotos dabei, auf den Mutter, Tochter und Enkelkind zu sehen sind.
Am Ende kann ich nicht umhin, mir auch ein schönes neues Kleidungsstück zuzulegen. Eine elegante, weite Jeans hat es mir angetan und nachdem meine Hüften ein bisschen zu kurvig sind, nimmt Doris Bittermann sofort Maß und verspricht mir, das Modestück neu anzupassen. Ich freue mich darauf und auf einen weiteren Austausch! Für das sympathische Interview bedanke ich mich herzlich!
Fotocredit: Alle Fotos: Steve Haider