Die Hôtelière mit dem grünen Herzen

0 Permalink

Auf meiner Suche nach spannenden Projekten zu Themen der Nachhaltigkeit stieß ich bei einer Podiumsdiskussion über den Klimawandel auf Michaela Reitterer, die mit ihrem „Boutiquehotel Stadthalle“ ein starkes Zeichen setzt: Das Null-Energie-Bilanz-Hotel ist gleichzeitig das erste SDG-Hotel, was bedeutet, dass Michaela Reitterer ihr Tun an den SDGs, den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, orientiert – mit Herz und Charme. 

Begonnen hat alles mit der Übernahme des Hotels von ihren Eltern und dem Erlangen des Umweltzeichens im Jahr 2001. Damals waren ihre Ideen noch neu und überraschten so manchen Handwerker, weiß Michaela Reitterer zu erzählen. Als sie den Dachboden ausbauen ließ, wurde ihr geraten, eine Klimaanlage einzubauen oder Kühlschlangen verlegen zu lassen. Die engagierte Quereinsteigerin schlug von sich aus eine Solaranlage vor, denn dann, so überlegte sie, könne die Hitze nicht ins Dach gelangen und gleichzeitig könne sie diese aber nutzen. Der Installateur lobte die unerwartete Idee und das erste grüne Projekt wurde erfolgreich umgesetzt. 

Natürlich, erinnert sich die erfolgreiche Hotelchefin zurück, stellte sich manche Idee der Anfangszeit auch als für den Betrieb nicht so nützlich heraus. So hatte sie es immer entsetzt, dass das wertvolle Wiener Wasser sogar für die Toilettenspülungen verwendet wird. Also begann sie beherzt, Regenwasser zu sammeln. Die schmutzig wirkende Farbe hatte sich aber als No-Go im Hotelleriebetrieb herausgestellt, und Michaela Reitterer erkannte, dass in Wien, wo Wasser so leicht verfügbar ist, dies auch keine notwendige Maßnahme darstellt. Bis heute aber nutzt man Brunnenwasser im „Boutiquehotel Stadthalle“ für die Bewässerung des Gartens. 

 

Michaela Reitterer, Chefin des Null-Energie-Bilanz-Hotels (Fotocredit: Franzi Schädel)

 

Eine grüne Oase

Und dieser Garten sowie eine besondere Dachgestaltung sorgen dafür, dass das Hotel eine grüne Oase inmitten der Großstadt und gleichzeitig ein idyllischer Rückzugsort ist. Die Wände des Innenhofs sind komplett mit Efeu bewachsen und schaffen somit eine einzigartige Atmosphäre fernab des Verkehrs und Trubels. Und – die Begrünung stellt vor allem in den immer heißeren Sommern einen besonderen Wert dar: ein dort aufgestelltes Messgerät der BOKU zeigt, dass die Temperatur im begrünten Bereich im Sommer um 4°C geringer als auf der Straße ausfällt. 

 

Das grüne Hotel aus der Vogelperspektive (Fotocredit: Tina Herzl)

 

Ein Herzensprojekt Michaela Reitterers war das Anlegen des „Lavendeldachs“. Als sie nach dem großen Dachumbau in der neuen Umgebung stand und nach draußen blickte, überlegte sie, was sie da gerne sehen wolle. Und dabei kamen ihr Lavendel und rote Rosen in den Sinn. Mit viel Leidenschaft und auch gegen manche bürokratische Hürden, schaffte sie es, ein intensiv begrüntes Dach anzulegen, auf dem auch große Pflanzen dank Aufschüttung und Wasserspeichers gesetzt werden konnten. Für die Wahl des Lavendels sprach, dass dieser wenig Wasser benötigt und die Gelsen vertreibt, was für ein Hotel einen angenehmen Nebeneffekt bedeutet. Und im Sommer, weiß Michaela Reitterer schmunzelnd zu erzählen, würde sich so mancher Gast an sie wenden und fragen, ob man denn nicht die Beschallung abstellen könne. Diese nicht! Die Geräuschkulisse kommt nämlich von den unzähligen Grillen, die sich pünktlich zu Sommerbeginn auf dem „Boutiquehotel Stadthalle“ einfinden!

 

 

Heimat für Bienen

Das Lavendeldach ist auch die Heimat für sechs Bienenvölker, die Honig produzieren, der einerseits beim reichhaltigen Frühstücksbüffet genossen werden kann und andererseits für den Bezirkshonig verwendet wird. Die Imker:innen der „Wiener Bezirksimkerei“ betreuen 250 Bienenvölker an 50 Standorten der Stadt. Für jeden Bezirk wird dann ein eigener Honig abgefüllt.

Der Honig, der da produziert wird, ist auch jener, den unsere Gäste am Buffet frühstücken. Man kann diesen auch hier kaufen. Der Rest wird für den Bezirkshonig des 15. Bezirks verwendet, auf dessen Etikett auch der „leicht mediterrane Geschmack“ erwähnt wird, der vom größten Lavendelfeld Wiens stammt.

Die Imker:innen gaben Michaela Reitterer das Feedback, dass ihre Bienen viel resistenter als andere sind. Im Winter 2021/22 starben viele Bienenvölker, da es ein harter und trockener Winter war. Die Bienen des „Boutiquehotel Stadthalle“ sind jedoch widerstandsfähiger weil sie nicht weit fliegen müssen. 

Bei den Köstlichkeiten, die beim Bio Genuss-Frühstück angeboten werden, achtet die Hotelchefin auch darauf, dass diese von Produzent:innen stammen, die sich der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlen. Zu diesen zählen unter anderen „Biogast“, „Beerenberg“, „Sonnberg Biofleisch“ oder die Bäckereien „Josef Schrott“ und „Ströck“. Eine besondere Herausforderung, weiß Michaela Reitterer zu berichten, ist es, Bio-Obst in großen Mengen zu finden. Sie ist dankbar, dass sie auch dieses Angebot nun über ihre Partner:innen abdecken kann. 

 

Nachhaltigkeit auf allen Ebenen

Neben den nachhaltig erzeugten Produkten spielt Re- und Upcycling eine zentrale Rolle im „Boutiquehotel Stadthalle“. Zum ersten wird rigoros Mülltrennung und Recycling betrieben, zum zweiten wird aus Alt Neu gemacht, was sich im ansprechend originellen Interieur widerspiegelt. Zur Idee des Upcycling passt auch Michaela Reitterers farbfrohe Mode. So lässt sie zum Beispiel aus mehreren alten ihrer Kleider ein neues nähen – und dann wären da noch die SDG-Kleider, die sie als engagiertes und kreatives Statement trägt. Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen trägt sie nicht nur selbstbewusst auf ihre Kleider gedruckt, um so ihre Umgebung auf die zentralen Themen für Gesellschaft und Erde aufmerksam zu machen, sondern bindet diese auch in die Raumgestaltung der Zimmer ein. (Hier 5 der 17 Ziele.)

 

Einiger der Ziele sind konkret dem Klima- und Umweltschutz und der Sauberen Energie gewidmet. Im Null-Energie-Bilanz-Hotel werden diese Ziele innovativ umgesetzt. Über die Grundwasserwärmepumpe, die Photovoltaik- wie die Solaranlage wird so viel Energie erzeugt, wie auch verbraucht wird. Der Verzicht auf Minibars, der Einsatz von Ökoduschschläuchen oder der Einsatz von LED-Leuchtmitteln tragen ebenso zum Energiesparen bei. 

 

Die Gäste schätzen das Engagement und jene, die sich bewusst aus Nachhaltigkeitsgedanken für das „Boutiquehotel Stadthalle“ entscheiden, werden immer mehr. Ansonsten sind es unterschiedliche Beweggründe, die die Menschen hierherführen. Am Ende verlieben sich jedoch alle in das entzückende und so außergewöhnliche Hotel inmitten Wiens.

Wir haben viele Gäste, die genau wegen der Nachhaltigkeit zu uns kommen. Dann kommen auch viele wegen der guten Bewertungen. Und sie kommen, weil sie im Sommer gerne im Garten frühstücken möchten, ein Zimmer mit Blick in den Garten genießen oder vom Gesang der Vögel geweckt werden möchten. Und wir haben auch viele Gäste, die ein Konzert in der Stadthalle besuchen, die es durch Zufall zu uns verschlagen hat und die am Ende völlig hingerissen sind. 

Über Angebote für ihre Gäste versucht Michaela Reitterer bewusst positive Anreize zu schaffen. So erhalten Gäste, die mit dem Fahrrad oder der Bahn anreisen, 10 Prozent Grünen Rabatt auf den Zimmerpreis. 

 

Ein Appell für den Klimaschutz

Bei all ihrem Engagement will Michaela Reitterer niemanden missionieren oder überzeugen, sondern will das Bewusstsein für einen notwendigen Wandel stärken. Sie selbst, räumt sie ein, fliegt sicher einmal im Jahr nach Asien, wo ihr Sohn lebt. Wie anders sollte sie zu ihm gelangen. Dafür aber trägt sie dann wieder an allen anderen Tagen im Jahr Verantwortung und setzt sich für den Klimaschutz ein. Sie ist gegen eine Verurteilung jener Menschen, die ohnehin 95 % „richtig“ handeln würden, und meint:

Ich finde es wichtig, dass man nicht zu rigoros wird. Dass man Menschen verurteilt, obwohl sie 95 % richtig machen, aber dass man sich auf genau die anderen 5 % der Handlungen einschießt, die nicht in Ordnung sind. 

Und dennoch bestehe dringender Handlungsbedarf. Wir diskutieren die aktuellen Klimaproteste und den Umgang mit Klimawandel und Pandemie. Wie viele meiner Interviewpartner:innen und Menschen, mit denen ich spreche, denkt auch Michaela Reitterer, dass auf die Pandemie sofort und entschieden reagiert wurde und dass das Thema sehr präsent in den Medien vertreten war. Beim Klimawandel sei dies leider nicht der Fall. Und dass nun eine stärkere Auseinandersetzung geschieht, sei auch Ergebnis der Proteste:

Was damit erreicht wurde, ist, dass man endlich über dieses Thema nachdenkt. Endlich hat es dieses Thema in die Medien geschafft. Eigentlich müsste es uns mit dem Klimawandel genauso gehen wie mit der Pandemie. Aber es glauben noch immer viele, es würde sie nicht betreffen. Oder sie denken sogar, es mache ihnen nichts aus, weil, wenn zum Beispiel die Winter wärmer werden, man nicht so hohe Energiekosten hat. Aber – es geht nicht um Österreich, sondern um einen Gesamtkontext. Und dabei sprechen wir auch nicht von einem Zeitraum von 20 Jahren, darüber natürlich auch, sondern wir sprechen darüber, wie die Welt in 100 Jahren aussehen wird. Und auch das betrifft schließlich meine Ururenkel, die dann leben. 

Und sie richtet einen Appell an alle, genauer hinzusehen und mutig zu sein:

Ich wurde letztens gefragt, was ich mir wünsche, wenn ich in 20 Jahren meine Enkelkinder ansehe. Da habe ich geantwortet: Ich möchte dann nicht sagen müssen, wir hatten es vor 20 Jahren in der Hand, aber wir waren unfähig, zu handeln. Mein Wunsch wäre es, dann sagen zu können, dass es ein paar Mutige gegeben hat, die sich bewusst waren, dafür vielleicht nicht gewählt zu werden, aber die es ausgesprochen haben, dass wir da jetzt durchmüssen. Alles andere wäre eine Katastrophe, daher müssen wir notwendige Maßnahmen setzen. Und daher kann ich nur an jede und jeden appellieren, da genauer hinzusehen! Sonst geht es sich nicht aus… 

Diesen Worten und dem dringenden Aufruf, den Tatsachen ins Auge zu sehen und zu handeln, ist nichts mehr hinzuzufügen. Michaela Reitterer handelt bereits, mit vielen kleinen Schritten, die sich mit den brennenden und ernsten Themen unserer Zeit auseinandersetzen, das Lebensbejahende und Genussvolle aber dabei nicht außer Acht lassen – mit Herz, Humor und Charme. Und mir bleibt an dieser Stelle nur noch, mich für das informative und wirklich inspirierende Interview herzlich zu bedanken! 

(Fotocredit: Porträts: Franzi Schädel; Hotelaufnahmen: Tina Herzl)

 

Comments are closed.